Julias Gedanken

Vor ziemlich langer Zeit hatte Gregor in einem Posting mal erwähnt, dass ich meine Sicht der Dinge oder speziell der Sucht schildern wollte. Wie gesagt, es ist lange her und so richtig gewollt habe ich das nicht. Zum einen ist das nicht meine Geschichte, die Schlittenhunde, der Sport und die Sucht und ich bleibe somit lieber im Hintergrund. Zum Anderen hängt das was ich schreibe wohl auch immer davon ab, wie es mir damit gerade geht – habe ich nachts davon geträumt oder habe ich alte Bilder gesehen?. Waren wir gerade in München oder habe ich mir einen Kopf gemacht ob alles ok ist oder bin ich grad entspannt, was das Thema angeht, weil Gregor ein paar Meter neben mir die Hunde füttert.
Vor einiger Zeit, inzwischen auch schon einige Wochen her, habe ich dann im Radio gehört, dass ich glaube bayernweit (nicht mehr sicher) jeder 11. Arbeitnehmer zu viel trinkt. Ich glaube die Wortwahl war diese, nicht dass jeder 11te ein Alkoholproblem hat. Das hat mich erstaunt. Dass die Zahl so hoch ist, denn nehmen wir jetzt noch alle Nichtarbeitnehmer mit dazu und alle weiteren Süchte, bei was für einer Zahl landet man dann? Jeder 8te? Oder jeder 6te hat oder hatte ein Suchtproblem? Und wie viele Angehörige hängen da dran? Das Thema Sucht ist immer noch ein Tabuthema, Gregors krasse Heroinsucht, die ja auch immer für Ahs und Ohs sorgt vielleicht sogar weniger als die eher verborgene Medikamentensucht oder Alkoholsucht.
Und erst wenn man selber davon betroffen ist und darüber redet hört man all die Geschichten, manchmal sind die Menschen froh und erzählen alles, manchmal kommen Andeutungen.
Zu Gregors und meiner Geschichte: wir kennen uns aus der Schule, hatten auch ein sehr kurzes Intermezzo, bei dem ich ihn toller fand als er mich und haben uns dann ein paar Jahre nicht gesehen Warum und wieso der Kontakt wiederkam weiß ich ehrlich gesagt gar nicht mehr. Jedenfalls war er in Friedberg auf Therapie und wir haben ein paar Mal telefoniert, bis ich mich entschlossen hatte ihn dort zu besuchen. In dem Moment in dem wir uns dort in Friedberg gesehen haben, war alles klar, für uns beide: wir bleiben zusammen. Immer. Und wäre die Sucht nicht gewesen, dann glaube ich, wäre das auch so gekommen. Wir waren und sind irgendwie eine hervorragende Einheit oder wie mein Vater vor einiger Zeit es formuliert hat: sicher, er hätte sich auch etwas anderes gewünscht als jemanden mit einer solchen Erkrankung, aber wenn man uns sieht, dann weiß man, es geht gar nicht anders, wir sind so ein Liebespaar.
Damals aber kam die Sucht dazwischen.
Ich stand kurz vor dem Abitur und Gregor sollte die Therapie fertig machen und dann würden wir nach Afrika gehen. Zusammengefasst: ich habe mein Abitur gemacht und bin für fast sechs Jahre nach Afrika gegangen, Gregor hat die Therapie abgebrochen und ist in der Sucht verschwunden für viele Jahre. Damals wie heute war ich von allem was passiert war traumatisiert. Ich hatte fürchterliche Angst vor ihm und habe fast zehn Jahre regelmäßig Alpträume gehabt, dass ich ihn suche und nicht finde, dass er tot ist. Ich wollte auch keinen Kontakt. Einmal kam er kurz nach einem Entzug mit seiner Familie nach Südafrika und rief mich an, ob wir uns sehen. Ich weiß noch genau wo ich saß und wie panisch ich wurde. Ich wollte ihn nicht sehen, und vor lauter Angst ihm irgendwo über den Weg zu laufen habe ich fast zwei Wochen das Haus nicht verlassen. Sucht ist zerstörerisch und zerstört eben nicht nur den süchtigen Menschen, sondern auch das Umfeld. Und damals war ich jung und wollte leben.
Da ich immer so ungefähr wusste, was Gregor macht über Freunde und Bekannte habe ich viele Jahre später erfahren, dass er clean ist, Schlittenhunderennen fährt und eine Freundin hat. Ich habe mich unendlich gefreut und wir haben uns in einem Restaurant in München verabredet (ich war seit einiger Zeit wieder in Deutschland). Er kam rein und ich habe sofort gemerkt, dass er stoned ist. In dem Moment habe ich jegliches Interesse verloren. Mir war damals wie heute klar: ganz oder gar nicht, ob harte Drogen oder sogenannte weiche, jemand wie er, der polytox ist, ist entweder ganz clean oder eben nicht. Ich habe nichts gegen Drogen und habe selber während meines Studiums und auch danach alles probiert, war ein ziemlich wildes Mädchen. Aber ich habe das Glück überhaupt nicht suchtgefährdet zu sein. Hatte ich Kontakt zu Gregor habe ich aber nichts mehr angerührt, auch keinen Alkohol. Auch für mich galt und gilt hier, ganz.
Wir hatten dann ab und an losen Kontakt, bis ich 2015 gehört habe, er ist rückfällig und in Berlin. Erstmal habe ich gar nicht an ihn gedacht, sondern an seine Kinder, die mir unendlich leidgetan haben. Wir hatten ab und an Kontakt und als er in der Nähe von München in eine Klinik gekommen ist, habe ich ihn besucht. Ich war selber nach ein paar Fehlgeburten nicht ganz auf der Höhe und hab mich in der Klapse dort recht wohl gefühlt und auch damit mich auf was andres als mich zu konzentrieren.
Gregors Prognose war mau, die Ärzte haben ihm keine große Chance gegeben, in der Klinik hatte er auch zwei Rückfälle. Damals hatte er gar nichts mehr und auch keine Perspektive auf irgendwas. Ich dachte wenn was hilft, dann vielleicht die Hunde. Und ich habe ihn auf Seminare mitgeschleppt und dachte, der braucht eine Aufgabe, einen Job und muss auf den Schlitten, Verantwortung für etwas übernehmen, für das es nicht schwer ist, Verantwortung zu übernehmen, ein Ziel vor Augen. Klar, viele werden sagen, warum sind nicht die Kinder genug, auch ich denke so, aber es ist wohl nicht vergleichbar.
Schlittenhunde also, aber wie das ganze finanzieren. Mir kam die Idee zu dem Crowdfunding, lange haben wir überlegt, ob man die Geschichte öffentlich machen soll. Es gibt doch eh niemand einem Junkie so viel Geld für ein Ziel das damals noch 2 Jahre entfernt war. Es hat funktioniert und er ist die Weltmeisterschaft 2019 gefahren und das nicht schlecht. Aber es war ein harter Weg dorthin. Einer der auch mich verändert hat. Wir sind wieder zusammen, haben zwei Kinder. Die Sucht ist derzeit nicht da, aber ich weiß sie kann jederzeit wiederkommen. Und es gab harte Zeiten, Gregor hatte in den vier Jahren ein paar Rückfälle, nicht verwunderlich laut der Ärzte und doch waren sie für mich und alle Beteiligten die Hölle. Auch für alle Kinder. Zwei davon wären tödlich verlaufen, hätte man oder ich ihn nicht gefunden. Und natürlich kamen sie in den unpassendsten Momenten. In den Momenten in denen ich jemanden gebraucht hätte, ich selber verletzlich war und mit allem von jetzt auf gleich alleine da stand. Ich habe mal eine sehr liebe Mail bekommen, auf die ich nie geantwortet habe, einfach weil ich nicht wusste wie. Wie toll es ist, dass ich so hinter ihm stehe und kämpfe. Das tue ich, aber nicht nur und da ist auch viel kaputt gegangen. Sucht bringt Lügen und Lügen zerstören Vertrauen, wie aber lebt man eine Beziehung ohne Vertrauen? Die Antwort suche ich noch. Und natürlich gab es Streit und Vorwürfe, denn es ist das Eine rational zu wissen, was Sucht heißt (wobei das werde ich nie so genau wissen oder verstehen) und etwas ganz anderes damit emotional gut umzugehen. Und auch mit der Bipolarität – die inzwischen medikamentös gut eingestellt ist und kaum mehr merkbar - bin ich mitnichten immer gut umgegangen. Für jemanden wie mich, der Dinge die ihm nicht gefallen, ändert oder zumindest alles tut, was möglich ist, ist jemand der so passiv ist, nicht eben einfach zu verstehen und auch frustrierend. Da fehlt mir Verständnis, ich kann es schlicht nicht nachempfinden.
Und auch wenn ich es lange weit von mir gewiesen habe, ich denke die Rückfälle, ihn finden, die Angst es könnte was sein, die egal wie lange er clean ist (und ich reden hier von Jahren) immer da ist, mal mehr, mal weniger, aber sie ist da. All das hat mich nicht gerade positiv verändert, ich habe mich ein wenig isoliert von Freunden und Bekannten, mich eher zurückgezogen – ich denke das ist typisch und wird andren auch so gehen. Und auch die Alpträume sind wieder da. Wobei das jetzt sehr schwer und grau alles klingt. Das ist es nicht, oder nicht überwiegend. Ich renne die meiste Zeit glücklich durch die Gegend. Ich bin unendlich gerne Mama und auch wenn ich die Frage mir oft stelle, ob jemand mit so einer Erkrankung überhaupt Vater werden sollte, liebe ich wie er mit den Kindern ist, liebe uns.
Aber so stark und positiv wie manche meinen, ich glaube das kann ein Angehöriger mit Sucht im Nacken gar nicht sein. Klar, je mehr Zeit vergeht, desto zuversichtlicher wird man, aber das nimmt nicht die Angst, die Sucht könnte hinter dem nächsten Baum stehen und ich denke das wird sie auch nie und so richtig entspannt werde ich erst sein, wenn wir uralt und schrumpelig sind. Vieles was ich tue ist auch von genau dieser Angst getrieben, unsere finanzielle Situation ist nun ja, nicht so, dass wir uns ehrlicherweise die Hunde leisten könnten, aber ich habe Angst, zu sagen, hey, das geht nicht mehr oder wenn Du nicht selber was auftust… also tue ich und strample mehr, als ich das tun würde, wäre diese Angst nicht da. Auch das ist sicher nicht immer gut, weil man über Grenzen hinausgeht und mehr tut oder anders handelt als man es ohne die Krankheit tun würde. Und auch das denke ich ist typisch. Aber auch Gregor muss Rücksicht nehmen, Dinge nicht tun oder anders tun, damit ich nicht panisch werde – unbegründet panisch werde. Inzwischen funktioniert es ganz gut, aber auch das hat eine Weile gedauert, dass der Eine sich nicht kontrolliert fühlt, sondern es einfach selbstverständlich ist, bestimmte Dinge einzuhalten, damit ich nicht unruhig werde.
Alles das, was mich betrifft oder uns, betrifft also unendlich viele andere, wie die eingangs genannten Zahlen zeigen und doch ist es ein Thema von dem man wenig hört oder über das man wenig liest. Vielleicht wäre es aber einfacher damit umzugehen, wäre dem anders.